Freitag, 18. Oktober 2013

Nichts zu verlieren

Woher kommt diese unglaubliche Angst, seine Geschichte einem Fremden zu erzählen? Warum ist es so schwer, sich jemanden zu öffnen? Wie kann es sein, dass wir uns lieber in ein Schweigen hüllen, dass uns bis in die hintersten Winkel unserer Seele hinein verbittert, als einfach zu sagen, was wir denken und fühlen? Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er an seiner eigenen Sprachlosigkeit erstickt. Nicht-darüber-reden-Können ist ein anderes Wort für Einsamkeit. Die Seele, die nichts lieber täte, als aus ganzen Kräften zu schreien, muss ihre unerträgliche Spannung allein zügeln. Oft reden wir uns ein, wir dürften andere mit unseren Problemen nicht belasten und überfordern. Wir müssten das alles mit uns allein ausmachen. Aber belasten wir andere Menschen nicht viel mehr, wenn wir zunehmend verdüstern und verbiestern, weil wir nur noch stumm nach Innen schreien dürfen?

Eine mögliche Erklärung für dieses selbstzerstörerische Verhalten ist, dass wir nicht allein sein wollen. Wir möchten irgendwo dazugehören. Deshalb unterhalten wir Kontakte, denen es an jeder Tiefe und ehrlichem Interesse am anderen fehlt, nur um unsere große innere Leere zu betäuben. Die Angst, uns wieder mit dem Nichts des Alleinseins konfrontieren zu müssen, verwandelt uns in Konformisten. Wir versuchen, nicht negativ aufzufallen. Viele Menschen sind bereit, ihre Seele zu verkaufen, nur um nicht ganz allein in dieser Welt dazustehen. Sie haben noch nicht erfahren, dass das Alleinsein mit sich beglückender sein kann, als jene oberflächlichen Kontakte es je sein könnten. Die Einsamkeit zwingt den Menschen dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ein Mensch, der sich nicht leiden kann, wird versucht sein, die Begegnung mit sich selbst möglichst lange, wenn nicht gar für alle Zeiten herauszuschieben. Viel lieber hört er auf die gleichgültig hingesagten Lobworte, die seiner Person gelten, als sich ernsthaft zu fragen, wer er eigentlich sei.

Jeder Kontakt, der sich nur darum erhält, weil man sein wahres Gesicht verbirgt, ist wertlos. Und wenn man nur einen Moment einmal die Ruhe findet, um über diese überwältigende Angst nachzudenken, dann stellt sie sich als unbegründet heraus. Denn was ist ein Kontakt mit Menschen wert, die nur dann bereit sind, sich mit einem abzugeben, wenn man all seine verleugneten Bedürftigkeiten hinunterschluckt? Was ist ihre Freundschaft wert, wenn sie sich augenblicklich aufzulösen beginnt, sobald man erstmals zu erkennen gibt, welch tiefe Traurigkeit in einem wohnt? Nichts. Und deswegen sollten wir mutiger sein, über uns zu sprechen. Denn nur dadurch können wir herausfinden, welchen Menschen wir wirklich vertrauen können und welche nur kaltherzige Narzissten sind, die in ihrer perfekten Welt auf jedes Zeichen der Schwäche allergisch reagieren. Wir verlieren rein gar nichts, wenn wir sie los sind.

8 Kommentare:

  1. Ja. Die Kostbarkeit, sich nicht verstellen zu müssen und trotzdem angenommen zu werden und vertrauen zu können. Menschen zu finden, die nicht bewerten und uns so sein lassen und annehmen wie wir sind. Mit all unserem Schmerz, unserer Zerissenheit. Und wenn dies auf Gegenseitigkeit beruht, ist dies kostbarer, als all die oberflächlichen Kontakte, die sich sonst so ergeben.

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  2. Ich sitze gerade sprachlos vor deinem Text, bin tief bewegt. Einen solchen Text von dir lesen zu dürfen. Mir fehlen gerade wirklich die Worte. Doch eines muss ich gleich loswerden: bitte, bitte hämmer dir das ein. Brenne dir diese Worte tief in deine Seele. Denn sie sind so wahr. Und Frank hat so recht: wenn man - und anders geht es wirklich nicht - jemanden findet, bei dem dies auf Gegenseitigkeit beruht, ist dies so kostbar. Oberflächige Kontakte... sollte niemand brauchen.

    Drück dich lieb,
    liebe Grüße, Lena

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  3. Diese Worte werden so wahr sein, wie WIR es ihnen zugestehen, es zu sein. In diesem Sinne: Schön, dass ihr da seid. Liebe Grüße, Karsten

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    1. :) Mit solch einer Antwort muss man bei dir einfach rechnen :) schön, dass du da bist und uns immer so schön inspirierst. Liebe Grüße, Lena

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    2. :) Mich euch beiden anschließe. Denn alles muss durch Taten und Handlungen gefüllt werden. damit es nicht nur graue Theorie bleibt. Schön, das es euch beide gibt. Liebe Grüsse, Frank

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