Mittwoch, 16. Oktober 2013

Einsamkeit

Dicker als eine Elefantenhaut umschließt dich deine Einsamkeit. Du könntest dich in dieser Haut wohl fühlen, würde sie deiner Seele nicht die Luft abschneiden. Gierig schlürfst du jeden Funken Menschlichkeit auf, der zu dir herniederträufelt. Von wenigen lieben Worten musst du dich ernähren. Dein Inneres ist abgedürrt und deine alten Wunden bluten nicht mehr, denn lange schon glaubst du nicht mehr daran, dass es anders sein könnte, als es eben ist. Du gehörst nirgends dazu, sondern gehst lose über diese Erde, deren Kind du bist. Du hast es nicht geschafft, deine Wurzeln tief in den Boden dieses Lebens hineinzusenken. Wie ein Anker, dessen Kette gerissen ist und der nun auf dem Grund des Meeres darauf wartet, dass ihn jemand bergen möge, betrachtest du die Lichter in der Ferne über dir, erhaschst immer wieder Ahnungen des Sonnenlichtes, das sich im Wellenspiel zärtlich andeutet. Auch du weißt noch, wie es ist, an Land und unter Menschen zu sein. Damals, als du noch kein komischer Kerl warst, als noch nicht jedes Wort, das du mühselig in deinem Geist für die Aussprache vorbereitest, sich so anfühlte, als würdest du es an einen übermächtigen Herrn richten, von dessen Gutdünken dein Leben abhängt. Heute werden alle Menschen deine Herren, denn jeder von ihnen könnte jemand sein, der dich aushält. Doch wartest du so gespannt auf diesen Menschen, dass er nicht kommen mag. Du fühlst selbst, dass du ihm nichts geben kannst, weil in dir nichts lebt. Zu mehr als ein paar ausgesuchten Höflichkeiten, zu einigen wohldosierten Worten ist deine ummauerte Traurigkeit nicht mehr fähig. Du hast es verlernt, dich zu verschenken, zu verschwenden und eine Welt in farbiges Licht zu tauchen. Ja, du weißt es, dass du nur eines kannst, nämlich Nehmen. Lange hast du versucht, das Letzte in dir zusammenzuziehen und deine vermoderte Innerlichkeit noch einmal zum Vibrieren zu überreden - vergeblich. Siehst du die Frau dort an der Haltestelle? Ist sie nicht ebenso einsam wie du? Wie sie so alleine auf den Bus wartet? Bis sie eine SMS bekommt. Sie liest sie. Ein wunderschönes Lächeln formt sich auf ihrem Gesicht. Verstehst du, was ich meine? Sie ist auf dem Weg von A nach B. Sie hat Menschen, die sich darauf freuen, sie zu sehen. Zu denen ist sie unterwegs. Du spürst ihre soziale Eingebundenheit, kannst sie beinahe sehen. Sie leuchtet. Vielen haben sie gern und es gibt viele, die sie gern hat. Sie lebt. Sie liebt. Sie kann es sich aussuchen, mit wem sie verkehren will, denn in vielen Herzen ist sie lebendig. Sie kann selektieren, also jene ausmisten, mit denen sie nichts zu tun haben möchte. Und zwar ohne sich schlecht fühlen zu müssen, weil sie Menschen kennt, deren heilsame Gegenwart es gar nicht erst zulässt, dass sich in ihr so etwas wie Schuldgefühle überhaupt herausbilden.

Du könntest ihr nichts geben. Aber auch die anderen Einsamen, deren Seelen ebenfalls vor Hunger schreien, magst du nicht sehen. Sie erinnern dich zu sehr an dein eigenes Leiden. Gerade ihnen willst du nicht zugestehen, dass sie deine Herren werden. Du willst dich sattfressen wie eine Made im Speck der menschlichen Emotionalität. Niemand wird dir diesen Gefallen tun, weil du diesen Menschen nichts Vergleichbares geben kannst, du Parasit. Und jene, die bereit sind, ihre Zeit für dich zu opfern, sind selbst froh, überhaupt jemanden zu haben, dem sie ihre traurige Geschichte erzählen können. Die Einsamen können keine Gemeinschaft bilden. Du ahnst, dass dieser Mensch immer bei sich bleiben wird, wie auch du immer bei dir bleiben wirst, ganz gleichgültig, was du tust. Ihr werdet euch nicht verstehen und im Grunde überhaupt nicht ausstehen können. Aber ihr werdet euch hüten, voneinander zu lassen, weil ihr euch fürchtet, wieder ganz allein eure Runden drehen zu müssen, die immer nur von A zu A führen. Du weißt, dass nur die Gemeinschaft dich retten und dir helfen kann, etwas von der Erdenschwere abzuschütteln, die dich so zu Boden zieht. Du hast nichts mehr zu verlieren. Wozu dich jetzt noch zurückhalten? Zu welchem Zweck willst du sie noch aufsetzen, deine alte Maske? Soll diese Maske deine Totenmaske sein? Es gibt nichts mehr zu verstecken. Denn es kommt einzig darauf an, sich in den Schmerz wie in seine letzte Hoffnung zu stürzen. Solange du noch versuchst, jemandem etwas zu beweisen, wirst du immer als Fremder unter jenen wandeln, die von Haus aus dazugehören.

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