Freitag, 27. September 2013

Verbitterung

Es gibt Menschen, die andere durch ihre bloße Existenz unglücklich machen. Schon sehen zu müssen, wie sie ihr Leben anpacken und in vollen Zügen genießen, bringt jene um den Schlaf, die, geschützt von allen Blicken dieser Welt, in dunklen Winkeln ihr verbittertes kleines Leben führen. Sie vergleichen sich mit jenen, für die die Begriffe Liebe, Glück, Beruf und Anerkennung mehr sind als bloße Worte. Also mit jenen, mit denen sie sich niemals vergleichen dürften, wollen sie sich nicht die Finger an ihrem überhitzten Ressentiment verbrennen. Ein Glück, von dem man weiß, dass man auf immer von ihm abgeschnitten sein wird, muss entwertet werden. Es gibt niemanden, bei dem sich der Verbitterte beschweren kann. Wenn er eine missratene Physiologie hat, wem könnte er die Schuld geben? Etwa seinen Eltern? Aber seine Mutter konnte nicht ahnen, dass da eine Missgeburt in ihr heranreift. Der Schmerz des Verbitterten ist tief, aber hat er das Recht, den Glücklichen zu verbieten, ihre Lebensfreude vor seinen Augen leuchten zu lassen? Er kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie so leben, wie auch er gerne leben würde. Wenn er es nur könnte. Wenn er die Chance gehabt hätte. Sein Schmerz ist ungeheuerlich, die Möglichkeit, ihm Ausdruck zu geben, sehr begrenzt. "Ich verachte dich, weil ich gerne so wäre wie du, dazu aber nicht in der Lage bin" - ein unmögliches Argument. Der Verbitterte muss seinen natürlichen Impuls unterdrücken. Er muss seinen Neid herunterschlucken und kann ihn höchstens als moralisches Statement wieder ausschwitzen. Der Alte kann dem Jungen nicht offen verübeln, dass er jung ist; und trotzdem beneidet er ihn aus tiefstem Herzen. Anderen kann er nicht die Schuld geben für das, was er ist, sich selbst nur in geringem Maße. Viele Menschen leiden Höllenqualen, ohne das objektiv jemand daran schuld wäre. Wen könnten sie anklagen? Sollten sie etwa die Mutter Natur selbst vor Gericht zerren, weil sie es zulässt, dass bestimmte Menschen von Geburt an niemals auch nur den Hauch einer Chance haben werden? Oder vielleicht die allmächtige Zeit, die zu frühe oder zu späte Geburten zulässt? Sowohl Natur als auch Zeit werden sich ausschweigen, denn sie sind nur Konstrukte des menschlichen Geistes. Der Schmerz des verbitterten Herzens wird bleiben und sich damit trösten müssen, dass kein Herz unsterblich ist, auch die Herzen der lachenden Götter nicht.

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