Montag, 30. September 2013

Dankbarkeit

Der Mensch gewöhnt sich an alles. Er könnte glücklicher sein, wenn er sich an das Gute, das ihm widerfährt, nicht allzu schnell gewöhnen würde. Sobald er etwas als selbstverständlich ansieht, hört er auf, es wertzuschätzen. Wer in einer Welt lebt, in der er nur von Selbstverständlichkeiten umgeben ist, muss sich immer neue Genüsse erobern, um an seiner Gewöhnung nicht zu ersticken. Aus der Unfähigkeit, die Welt jeden Tag mit frischen jungen Augen zu sehen, erwächst jenem Menschen die Sehnsucht nach dem Anderen, dem Besonderen, dem noch nie Gesehenen. Aber auch diese fernen Länder seiner Phantasie wird er wieder verlassen, nachdem sein Blick sie alt und gewöhnlich gemacht hat. 

Ich denke, dass Dankbarkeit wichtig ist, um glücklich zu sein. Dankbarkeit ist nicht die Folge einer Wohltat, die uns jemand erwiesen hat. Wäre sie das, würde unsere Dankbarkeit ganz von anderen abhängen. Sie ist jedoch mehr, nämlich eine Fähigkeit, die man kultivieren kann. Wer die Dankbarkeit kultiviert, lebt in keiner gewöhnlichen, alten Welt. Es ist nicht selbstverständlich, dass es Menschen gibt, die sich darum sorgen, dass es uns gut geht. Oder Menschen, die bereit sind, sich unsere Geschichte anzuhören. Überhaupt nicht. Wie schnell vergessen wir das, wenn wir uns von Tag zu Tag hetzen lassen? Wie schnell geht es verloren, das Gefühl für den Wert einer guten menschlichen Beziehung? Beziehungen sind nicht einfach vorhanden; sie können nicht gespart und angehäuft werden wie das Geld auf der Bank. Eine Beziehung, die zur Gewohnheit geworden ist, gehört bereits der Vergangenheit an, sie ist tot.

Dankbarkeit ist die Fähigkeit, sich den frischen Blick für die Schönheiten des Lebens zu bewahren. Diese Schönheiten drängen sich nicht immer auf, sie sind nicht ohne weiteres zu sehen, schon gar nicht mit gleichgültigen Sinnen. Sie gehen unsichtbar an uns vorüber, solange wir sie nicht mit dankbaren Augen sehen. Dankbarkeit ist ein Geben, eine Aktivität, ein Sehen. Genau die Schönheit werden wir schauen, die wir bereit sind, sichtbar zu machen.

6 Kommentare:

  1. Diesen frischen, jungen, offenen Blick für die Schönheiten des Lebens zu bewahren und dafür dankbar zu sein, ist so eng verbunden damit, das man auch sein Herz dafür öffnet und seinen Geist.
    Ich weiß, das ich den Satz immer wieder gerne bringe *nerv ;) * : "...mit offenen Augen und offenem Herzen, als wäre jeder Tag der erste..." Da können und sollten wir viel von den Kindern lernen, die so jeden Tag die Welt neu entdecken....
    Und ich nerv mal weiter ;) ;) Ein wirklich schöner Text ;)
    LG von Frank :)

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  2. Wir sollten uns nicht mit den Kindern vergleichen. Zu niederschmetternd ;) LG Karsten

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  3. Es ist wirklich ein ganz wunderbarer Text :) sehr schön geschrieben und Dankbarkeit ist für das Glück und Wohlbefinden sehr wichtig. Ich denke, was Frank meinte ist, dass es hier um den Blick der Kinder geht, den die meisten Erwachsenen leider verloren haben. Für sie ist es nicht selbstverständlich, dass sich jemand um sie kümmert. Niemals. Es ist jeden Tag ein neues Wunder für sie. Erlebe es bei meiner Tochter immer wieder.

    Ein wirklich sehr schöner Text. Vielleicht hast du ja Recht, dass Dankbarkeit, dass es Menschen gibt, die sich wirklich um einen Sorgen, denen man wirklich wichtig ist, das höchste Gut ist.

    Liebe Grüße,
    Lena

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  4. Danke für deinen Kommentar. Ich denke, dass dieser Blick verloren geht, ist ganz unausweichlich. Wenn wir auf die Welt kommen, kennen wir sie noch nicht und beginnen erst, sie zu erforschen. Das ist für ein Kind natürlich. Wenn uns dann mehr oder weniger klar ist, wie der Hase läuft, verändern wir uns. Vieles von dem, was uns einst beeindruckte, fesselt uns heute nicht mehr. Es ist alltäglich geworden. Deshalb denke ich, dass für uns die "Frische des Blicks" etwas viel Komplizierteres ist, als beim Kind, das weder "Weisheit" noch "Philosophie" noch "Psychatrie" noch "Zuhören" nötig hat. Es ist einfach, was es ist. Wir haben Vorstellungen, Träumen, Pläne - das Kind kennt so etwas nicht. Bei uns ist alles künstlicher, zufälliger, unklarer. Was nicht heißt, dass es uns nicht auch möglich wäre, besagten frischen Blick zu kultivieren. Die Augen, mit denen wir als Kinder die Welt sahen, werden wir zwar nie wieder aufschlagen. Aber wir können uns neue Augen einsetzen ;) LG Karsten

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  5. Euren beiden Kommentaren ud den Aspekten, die ihr ansprecht,nur zustimmen kann. Denn es ist ja wirklich so, das wir es meist verlernt haben, den "einfachen, klaren Blick" . Alles mit Bedeutungen belegen, filtern, bewerten, bevor es unser Herz erreicht.
    Und die tiefe Dankbarkeit, für die Menschen, die wirklich für einen da sind und für die man auch einfach da ist, die einem wichtig sind und denen man selbst wichtig ist. Ihnen wirklich zuhört ohne zu bewerten und zu verurteilen, sondern bereit ist wirklich beizustehen. Dankbarkeit für ein Glück, was wir leider zu oft in diesem Leben übersehen. Nicht ohne Grund, nach den Erfahrungen, die man schon gemacht hat. Aber auch hier...mit dem Herzen sehen.
    Und das wir uns "neue Augen" einsetzen können, ;) ist ein Bild, was Hoffnung gibt.
    Liebe Grüsse an euch.
    Frank

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  6. Mit dem Herzen sehen ... ja, das kannst du :)

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