Donnerstag, 18. Juli 2013

Widersprüche

Man stelle sich jemanden vor, der eine Auffassung vertritt, die uns zutiefst zuwider ist, sie uns gegenüber allerdings mit viel Intelligenz, Phantasie und menschlicher Wärme vorträgt. Wir würden bei einer solchen Person nie den Impuls verspüren, sie schon aufgrund ihrer bloßen Meinung moralisch in den Boden zu stampfen, wie wir dies in der Regel leider allzu gern tun.

Oft fühlen wir uns nur deshalb im Recht, weil es unsere Gegner nicht für nötig erachten, uns zu widerlegen. Eine Meinung so ohne jeden Widerspruch, so ganz ohne Gegenwehr zu besitzen, hat etwas ungemein Ermüdendes. Die Versorgung des stehenden Heeres des immer gleich Gemeinten ist anstrengender, als sich mal wieder so richtig schön ins Unrecht zu setzen. Das Falsche, Überzeichnete und absichtlich Verworrene zu sagen, kann ein Kunstgriff sein, um raffiniertere Geister aus der Reserve zu locken. Ohne Widerspruch gehen wir ein. Doch warum sollte es uns etwas ausmachen, ob die Überzeugungen, für die wir kritisiert werden, auch tatsächlich die unsrigen sind? Wissen wir denn immer so genau, wovon wir eigentlich überzeugt sind? Muss man nicht auch bereit sein, eine Narrenkappe zu tragen, um der Wahrheit die Treue zu halten? Wenn wir immer nur sagen, was wir denken, und immer nur tun, was unserem Wesen entspricht, werden wir vieles niemals erfahren. Wenn wir Erfahrungen machen, warum dann ausgerechnet immer als wir selbst? Warum nicht als jemand anderes?

3 Kommentare:

  1. Deine letzten Fragen empfinde ich als sehr interessant. Da drängelt sich mir die Frage auf: kann man denn überhaupt Erfahrungen als sich selber sammeln?? Sind wir nicht ständig irgendwie dazu gezwungen, Masken zu tragen? Ich mein, wer kann sich heutzutage diesen Luxus schon erlauben? Wirklich so zu sein, wie man *ist*. Und ist dieses "Wesen" nicht auch immer irgendwie im Wandel? Morgen könnte es schon eine abgewandeltere Form geben. Übermorgen vielleicht wieder das von Vorgestern, weil man in einer Sackgasse steckt.

    Kurzum: ich glaube, die meisten Erfahrungen sammelt man sowieso als jemand anderes als sich selbst.

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  2. Das wahre Wesen könnte jene Maske sein, die übrig bleibt, nachdem man alle anderen abgelegt hat ;) Die Bilder ("das wahre Gesicht"), die wir von uns machen, sind beständiger als das, worauf sie sich beziehen, oder? Alles ziemlich schwierig, verfahren und zugestellt. Ich danke dir für deinen Kommentar :)

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  3. Ja, das stimmt. Alles wirklich schwierig. Ich komme immer wieder an den Punkt, dass ein Teil des "wahren Wesens" beständig ist, immer währt in irgendeiner Form. Und der andere Teil sich im stetigen Wandel befindet. Doch anders wäre wohl ein geistiger Wachstum auch nicht möglich, ohne sich vollkommen ganz zu verlieren.

    Ich danke dir für diesen wunderbaren Text :) wieder sehr inspirierend! :)

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