Freitag, 31. Mai 2013

Die ewige Verwandtschaft

 Hat je ein Mensch so empfunden?

Ich liebe dich, aber ich kenne jemanden, der dich inniger liebt, als ich es jemals könnte. Dieser Mensch gefällt mir ausnehmend gut. In seiner Nähe fühle ich mich wohl. Bitte lerne ihn kennen! Mich selbst könnte ich auch durch die Liebe zu einer anderen lieben. Nichts würde mich glücklicher stimmen, als dich glücklich zu sehen. Hast du nicht selbst gesagt, dass alle Dinge eins seien? Erinnerst du dich noch daran? Wenn es sich so verhält, wie könnte Eifersucht dann möglich sein? Wir sehr wir uns auch voneinander entfernt und entfremdet haben mögen, die ewige Verwandtschaft zwischen uns vermag nichts aufzulösen. Alles Getrennte ist nur ein Gleichnis. Wir sind eins. Du bist ich. Ich bin du. Ob du mit ihm gehst oder mit ihm, darauf kommt es nicht an. Nichts kann uns auseinanderbringen, verstehst du? Nichts.

Mittwoch, 29. Mai 2013

Zuhören

Es ist keine Hilfe, wenn man zwanghaft versucht, jemanden auf das Licht am Ende irgendeines metaphorischen Tunnels hinzuweisen und zu sagen: Schau' nur mal genauer hin! Es ist besser, tieftraurig, als zwanghaft optimistisch zu sein. Ja, manchmal ist es sogar schön, seine Seele anzuschneiden, um die angestauten Hoffnungen und Träumereien aus ihr herausbluten zu lassen. Es ist keine Hilfe, die eigenen Erfahrungen zu universellen Prinzipien zu verallgemeinern und sie anderen unter die Nase zu reiben. Jeder Mensch ist verschieden. Warum ist das so schwer zu begreifen? Wenn ihr helfen wollt, dann lasst euch zuerst Ohren für die tausendfältigen Regungen menschlichen Leids und Glücks wachsen! Hört den Menschen zu, aber sagt ihnen nicht, was ihr an ihrer Stelle tun würdet. Versucht nicht, mit grobfingrigen Ratschlägen in ihr Schicksal hineinzulangen. Fühlt ihr euch nicht bedrückt, wenn sie euch aus ihrem Leben erzählen, jene leidenden, gequälten Wesen? Wünscht ihr euch nicht manchmal, dass sie von der Erdoberfläche verschwinden mögen? Wisst ihr die verborgene Verachtung aus eurer Güte herauszulesen, wenn ihr sagt, dass ihr diesen Menschen helfen wollt? Ihr wollt ihnen helfen, damit sie aufhören, euch durch ihr pures Sein zu empören. Ihr wollt ihnen helfen, um sie zu verändern, um sie nicht so akzeptieren zu müssen, wie sie sind.

Leiht den Menschen, denen es nicht gut geht, euer Ohr. Hört ihnen zu, damit sie erfahren, dass sie nicht allein sind. Nötigt sie nicht dazu, euch für etwas zu danken, das ihnen nicht weiterhelfen kann. Erwartet von ihnen nicht, dass sie euch danken. Verallgemeinert nicht, zieht keine voreiligen Schlüsse, schwatzt sie nicht zu. Wenn ihr ihnen wirklich zuhört, dann werdet ihr dafür keine Dankbarkeit erwarten. Vielmehr werdet ihr eure Dankbarkeit ausdrücken wollen. Denn es ist ein Glück, einen Menschen hören zu dürfen. Nicht nur seine Einsamkeit wird dadurch einen Sprug abbekommen, sondern auch die eure.

Montag, 27. Mai 2013

Zärtliche Maschinen

Könnte es etwas Traurigeres geben, als eine Kontaktanzeige oder eine Partnerseite? Es ist so, als ob sich das Vieh selbst auf dem Markt anböte. Mit einem Schild um den Hals: Bin anspruchslos, verständnisvoll, einfühlsam. Man macht sich selbst zur Ware und versucht, sich im bestmöglichen Licht zu präsentieren. Sein Angebot unterbreitet man nicht einer bestimmten Person - das bedeutete ja schon eine Monopolstellung, sprich: Liebe -, sondern an alle Teilnehmer auf dem Markt unbefriedigter affektiver Bedrüfnisse. Aber wie soll ein Angebot, die sich an alle richtet, Sympathie erwecken? Ich empfinde Menschen, die sich anpreisen, als unsympathisch. Es ist, als ob man jemandem  beim Selbstgespräch zusehen würde. Er mag sehr interessant, weitschweifig und blumenreich reden, aber warum sollte das jemanden interessieren? Wenn er so viele gute Eigenschaften hat, warum muss er dann überhaupt eine Kontaktanzeigen aufgeben? Warum kann ein solcher Mensch denn nicht einfach schreiben: Ich brauche jemanden, der mich liebt. Ich fühle mich verdammt einsam. Ich will nicht alleine sterben, deshalb brauche ich dich, um mich an dich zu schmiegen und von dir bestätigt zu werden. Wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, nimm' es bitte nicht persönlich, okay? Es geht nicht um dich, sondern um mich, um meine unerfüllten Sehnsüchte. Wenn du bereit bist, dies zu akzeptieren, würde ich mich sehr über deine Nachricht freuen.

Viele Menschen betrachten sich selbst wie Maschinen, die Zärtlichkeit und Geborgenheit erfahren müssen, um nicht zu zerspringen. Ihr Denken ist ganz mechanisch und reptilisch. Sie glauben wirklich, dass sie nicht leben können, wenn niemand da ist, der ihnen diese Dinge gibt. Einem gefährlicheren Irrtum kann man nicht aufsitzen, denn er treibt zwangsläufig in die Abhängigkeit. Diese Menschen sind entweder geknechtet von dem Wahn, dass sie unbedingt eine Beziehung eingehen müssen, oder sie hängen beklommen an ihrem Partner, weil sie fürchten, dass sie ihn wieder verlieren könnten. Wenn man nicht alleine zurechtkommt, wird man auch in einer Partnerschaft nicht zurechtkommen. Wenn ich mir eingestehen muss, dass ich einen Partner brauche, um nicht zu verzweifeln, dann habe nichts weniger verdient, als einen Partner.

Samstag, 25. Mai 2013

Auf gar keinen Fall

Ich habe zu wenigen Menschen das Geschenk meiner Schwäche gegeben. Es fällt anderen schwer, sich in mich einzufühlen, weil ich ihnen nichts über mein Leben zu erzählen vermag. Deshalb bleibe ich als Mensch unwirklich, verschwommen, so als ob ich bloß eine flüchtig aufs Papier geworfene Skizze wäre, die sich leicht wieder ausradieren ließe. 

Wenn man Nietzsches Biographie glauben will, dann wusste er schon mit sieben Jahren, dass ihn niemals ein menschliches Wort erreichen würde. Selten hat mich ein Satz so sehr erschüttert. Ich habe Angst, dass Nietzsches Einsamkeit auch die meine sein könnte. Wie ein Fisch unter meterdickem Meereseis übe ich mich in dem Glauben, dass es da irgendwo einen Himmel, Wolken, Monde, leuchtende Sterne und wärmendes Sonnenlicht gibt. Ich kann mich mit der Aussicht, einmal als solch ein Fisch sterben zu müssen, auf gar keinen Fall abfinden. Selbst wenn sie sich als wahr herausstellen sollte, dürfte sie doch nicht wahr sein! Ich werde nicht bis zuletzt hoffen! Ich werde leben!

(geschrieben vor zwei Tagen)

Freitag, 24. Mai 2013

Dienstag, 21. Mai 2013

Misstrauen

Damit sich zwei Menschen verständigen können, müssen sie eine gemeinsame Verständigungsgrundlage finden. Wenn nun ein vertrauender auf einen misstrauischen Menschen trifft, muss sich der erstere sich selbst unterbieten, um verstanden werden zu können, weil er sonst ein zu großes Unbehagen bei seinem Gegenüber hervorrufen würde. Er muss das Gute, der er gerne geben würde, für sich behalten, es verzerren und verleugnen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sein Licht soweit abzudunkeln, dass es den anderen nicht mehr blenden kann. Diese Selbstverdunkelung und - verdüsterung ist weitaus anstrengender, als dem anderen offen und herzlich zu begegnen - aber gerade ein solches Verhalten würde dem Misstrauischen skeptisch werden lassen und ihn abschrecken.

Ich weiß nicht, ob diese Gedanken das Wesentliche treffen. Denn vermutlich ist es egal, was der andere denkt und fühlt, wenn man sich selbst und damit auch anderen vollkommen vertrauen kann. Dann weiß man, dass man nur das Beste will und sagt es frei heraus, ohne sich darum Gedanken zu machen, wie es aufgenommen wird. Augustinus: Liebe und tue, was du willst! Vielleicht ist man solange des Vertrauens unfähig, wie man annimmt, dass auch die anderen dabei mitspielen müssten. Dass es ohne sie nicht geht. Solange man dies glaubt, bleibt man an ihnen hängen. Aber ist Vertrauen nur wirklich, wenn es bestätigt wird? Ist nicht der ganze erste Absatz Unsinn?

Montag, 20. Mai 2013

Nicht zu suchen

Zur Wahrheit führt kein Pfad, und darin liegt ihre Schönheit; die Wahrheit ist etwas Lebendiges. Eine tote Sache hat einen Pfad, der zu ihr führt, weil alles Tote statisch ist. Wenn du aber erkennst, dass die Wahrheit etwas Lebendiges ist, das in Bewegung ist, das keine bleibende Stätte hat, das in keinem Tempel, keiner Moschee oder Kirche zu finden ist, wohin dich keine Religion, kein Lehrer, kein Philosoph führen kann - dann wirst du auch erkennen, dass dieses Lebendige das ist, was du in Wirklichkeit selbst bist - dein Ärger, deine Rohheit, deine Heftigkeit, deine Verzweiflung, die Trübsal und das Leid, darin du lebst.

In dem Versuch, sich mit der Ideologie in Einklang zu bringen, unterdrückst du dich, während die eigentliche Wahrheit nicht in der Ideologie steckt, sondern in dem, was du tatsächlich bist. Wenn du versuchst, dich zu erforschen und dich dabei nach einem anderen ausrichtest, wirst du immer ein Mensch bleiben, der aus zweiter Hand lebt.

Und das ist das erste, das zu lernen ist: nicht zu suchen! Solange du suchst, machst du nur einen Schaufensterbummel.

Jiddu Krishnamurti

Sonntag, 19. Mai 2013

Zu spät

Solange noch der Impuls in mir brennt, mich auf irgendeine Weise vor mir selbst zu rechtfertigen, kann ich mich nicht kennenlernen. Ich will mich verstehen und habe es doch nur mit alten Worten zu tun, die mir von irgendwoher angespült worden sind. Solange ich nur über mich nachdenke, kann ich mich nicht erfahren. Ein Gedanke kann aus der Erfahrung stammen; wenn ich ihn aber denke, erfahre ich ihn nicht. Die Gedanken sind immer schon alt. Sie kommen zu spät. Deshalb kann ich die Frische und Jugendlichkeit des Augenblicks nicht denkend erschließen.

Samstag, 18. Mai 2013

Draußen bleiben

Vielleicht würde Jesus nicht in jenen Himmel einziehen, den er verkündet hat. Ich stelle mir vor, dass er, begleitet von einer Armee von Heiligen, Priestern und Engeln, einherschreitet, geradewegs auf das Tor zu, hinter dem das Paradies beginnt. Ein sanftes Lächeln liegt auf seinem Gesicht. Wie balzende Schmetterlinge fliegen die Engel durch die Luft; die kleinsten sind am beweglichsten, am schnellsten. Alles freut sich. Der ersehnte Tag ist endlich gekommen. Das Leid hat ein Ende.

Eine verlorene Seele bewacht das Tor zum Paradies. "Was wollt ihr hier?", fragt sie, als ob sie von den Vorkommnissen auf der Erde rein gar nichts wüsste. Jesus, der das heilige Gewimmel anführt, antwortet ihr mit dem Ausdruck größter Zärtlichkeit: "Wir kommen, um in das versprochene Land einzuziehen. Der Tag ist gekommen." Die verlorene Seele holt einen dicken, verstaubten Aktenordner aus dem Regal. "Das sind die Leute, die wir hier reinlassen können. Wenn Sie mir bitte Ihren Namen sagen würden?"
"Ich heiße Jesus Christus, ich habe die Welt erschaffen - und doch auch wieder nicht, weil ich ja als Mensch vor wenigen Jahren erst geboren wurde. Ist alles nicht so einfach bei uns bzw. bei mir."
"Kenne ich. Mit solchen Familien habe ich hier oft zu tun. Glauben Sie mir, da könnte ich so einiges erzählen! Ich kann aber leider keinen Eintrag finden. Sie dürfen hier nicht rein."
"Da muss ein Irrtum vorliegen."
"Hier stehen noch ein paar Vermerke. Darin wird alles erklärt. Sekunde ... okay. Also: Sie müssen draußen bleiben, weil Sie dem Übel widerstanden haben, ohne je auch nur einen Moment ihres Lebens böse gewesen zu sein. Sie haben nicht aus der Fülle des Seins heraus gelehrt, sondern haben sich auf das Gute allein beschränkt. Sie haben zu wenig gesündigt. Sie wissen gar nicht, wovon Sie die Welt erlösen sollten, weil die Sünde in Ihnen niemals lebendig gewesen ist. Das Herz der Welt blieb Ihnen verschlossen. Steht da."

Jesus verstummt. Tränen steigen ihm in die Augen. Er wendet sich einem Kamel zu, um sich an dessen Hals zu klammern, so wie sich ein Ertrinkender an eine Boje klammert. Langsam sinkt er in sich zusammen. Zieht das Tier mit sich hinab. Das Kamel befreit sich, der gescheiterte Gott bleibt auf dem Boden liegen. Wie ein Embryo im Mutterleib rollt er sich zusammen, um den verstörten Blicken der Heiligen zu entgehen und für alle Zeiten zu weinen.


Freitag, 17. Mai 2013

Der ewige Tod

Natürlich ist nach diesem Leben Schluss. Es gibt auch überhaupt keinen Grund, über diese Frage ernsthaft nachzudenken. Das sind nichts als theologische Träumereien, die sich nur deshalb hartnäckig halten, weil sie sich psychologisch ausbeuten lassen. Wenn religiöse Menschen über ihren Glauben reden, geben sie oft mit größter Naivität zu, dass ihnen die Vorstellung eines ewigen Lebens mehr zusagt, als die Aussicht, für immer zu verwesen. Sie beweisen damit nicht die Existenz eines Himmels oder eines späteren Lebens, sondern nur ihre Unfähigkeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Jeder Mensch weiß, dass er sterben und dass sein Tod ewig wird. Jeder. Etwas zu wissen bedeutet für ihn allerdings nicht zwangsläufig, dass er es auch wahrhaben wird ...

Zieht den Toten doch einmal die Lider hoch und schaut ihnen tief in die gebrochenen Augen. Glaubt ihr wirklich, dass von diesen Menschen noch irgendetwas existiert, wenn auch nur an irgendeinem fernen, überirdischen Ort? Dass von ihm etwas in einer anderen Reinkarnation fortlebt? Beobachtet sie Fliege, die sich auf die Stirn dieses toten Kindes gesetzt hat. Glaubt ihr wirklich, dass von diesem Kind mehr übrig bleibt, als der Schmerz in den Herzen seiner Eltern?

Donnerstag, 16. Mai 2013

Der Glaube an die Menschen

Das Wichtigste ist, dass man den Glauben an die Menschen nicht verliert. Wenn es an dem mangelt, ist alles andere sinnlos, da bin ich fest überzeugt. Es kommt nur darauf an, ob ich diesen Glauben habe, nicht darauf, ob er sich auf irgendeine Weise bestätigt. Ich habe nicht die Zeit, jeden Menschen erst daraufhin abzuklopfen, ob er diesen Glauben verdient oder nicht. Ich setze ihn einfach voraus. Bei jedem Menschen gehe ich davon aus, dass die Keime ungeahnter Schönheiten und Freuden in seiner Seele schlummern. Entsprechend behandele ich ihn.

Beispiele? Ohne diesen Glauben verliert ein Lehrer schnell die Geduld, wenn sich seine Schüler daneben benehmen. Hat er aber diesen Glauben kultiviert, dann glaubt er, dass aus ihnen großartigen Menschen werden, ganz unabhängig davon, was sie jetzt verbocken mögen - und genauso behandelt er sie. Sie werden es ihm danken. Eine Frau, die nicht an die Zukunft ihres Kindes glaubt, kann keine gute Mutter sein. Wer will, dass seine Kinder erwachsen werden, muss sie nur wie Erwachsene behandeln. Es gibt überhaupt keinen Grund, an diesem Glauben auch nur eine Sekunde lang zu zweifeln. Alle Probleme fangen damit an, dass dieser Glaube brüchtig wird und durch Gründe gestützt werden soll. Es ist ein großes Geschenk, an die Menschen glauben zu können. Ich denke nicht, dass jemand glücklich werden kann, der in diesem Punkt schwankt.

Spasmen des Ehrgeizes

Kultur? Leistung? Ich sehe nur die Spasmen eines fehlgeleiteten Ehrgeizes. Je nichtiger sich ein Mensch vorkommt, desto phantastischer müssen seine Werke sein. Er braucht sie, um die neugierigen Blicke, die sonst ihm gegolten hätten, auf etwas abzulenken, über das er die volle Kontrolle hat. Was er schafft, liegt ganz in seiner Hand. Das gilt auch für die Tätigkeiten, denen er sich widmet. Niemand darf in sein Herz schauen und den unendlichen Durst dieses Herzens erahnen. Er liebt es, mit dem gleichgesetzt zu werden, was er tut. Als Geistesmenschen, großes Tier oder Partylöwen sieht er sich gerne gesehen. Er wird bewundert. Niemand kann leugnen, dass er "was auf dem Kasten" und viele seiner Talente glänzend ausgebildet hat. Er braucht die Anerkennung, die seinen Werken gelten. Er braucht sie, um sie auf sich zu beziehen, um etwas durch sie zu sein. Wer ihn erreichen will, muss diesen Umweg zu ihm gehen. Alle anderen Wege liegen verschüttet.

Dienstag, 14. Mai 2013

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse